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Dieser Blog ist eine Kurzfassung der Studie „Auf der Siegerstraße bleiben“, in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) sowie der österreichischen Industriellenvereinigung (IV) [1]. Die Studie wurde durchgeführt von derCouncil4 GmbH in Kooperation mit Dr. Hans-Peter Kleebinder.

Die Automobilindustrie zählt unbestritten zu den Leitbranchen der österreichischen Wirtschaft. Mit alternativen Antriebstechnologien, Digitalisierung und dem sich ändernden Mobilitätsverhalten steht die Branche vor großen Herausforderungen. Unternehmen sollten rechtzeitig die Weichen stellen, um den Transformationsprozess zu bewältigen. Die politischen Institutionen sind auf allen Ebenen gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, um künftig von den sich bietenden Chancen zu profitieren.

Für derartige Entscheidungen fehlte bisher das Wissen über die zu erwartenden Veränderungen. Eine Basis dafür liefert die vorliegende Studie „Auf der Siegerstraße bleiben“ mit belastbaren Szenarien zum Einsatz neuer Antriebstechnologien bis 2030 und der Abschätzung der wirtschaftlichen Implikationen, die sich für die österreichische Automobilwirtschaft ergeben.

Globale Entwicklungen bestimmen das Tempo der Transformation: Emissionsregulierungen und damit verbundene Strafzahlungen erfordern eine Dekarbonisierung und damit die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten. China als neue dominierende Automobilnation und alternative Mobilitätskonzepte treiben die Elektromobilität zusätzlich voran. Verbrennungsmotoren (Diesel/Benzin und Gas) werden langfristig von Elektroantrieben (Batterie und Brennstoffzelle) abgelöst.

Die Betrachtung der Zukunftschancen von Elektromobilität muss ganzheitlich erfolgen. Dabei sind alle Verkehrsarten und Distanzbereiche zu untersuchen und im Hinblick auf ihre Anforderungen an die Elektromobilität zu charakterisieren. [2] In Zukunft werden beide Technologien nebeneinander koexistieren. Batteriebetriebene Elektrofahrzeuge sind hocheffizient bei kurzen Strecken und niedrigen Lasten. Dem gegenüber steht die Brennstoffzelle mit ihrer Stärke bei hohen Reichweiten und Lasten. Abbildung 1 zeigt die idealen Einsatzgebiete beider Technologien. [3]

Abbildung 1: Mögliche Einsatzgebiete von Batterie und Brennstoffzelle

Für jede Antriebstechnologie wurden Referenzfahrzeuge festgelegt. Zudem wurde ermittelt, welche Fahrzeug-Komponenten benötigt werden, ob diese im Inland produziert oder importiert werden und wie sich deren Kostenstruktur bestimmt. Hier zeigt sich zum einen, dass es künftig zu einer deutlichen Komplexitätsreduktion in den Fahrzeugen kommen wird, wodurch viele Komponenten nicht mehr benötigt werden. Zum anderen, dass einige der neu benötigten Komponenten nicht in Österreich produziert werden und daher zwangsläufig importiert werden müssen.

Grundlage aller Berechnungen bildet das sogenannte Basis-Szenario, in welchem unterstellt wird, dass es – verglichen mit 2018 – zu keinen Veränderungen der Marktanteile kommt. Lediglich die sich ändernde Nachfrage bis 2030 wird hier berücksichtigt. Der Mix der Antriebstechnologien bleibt daher, wie im Jahr 2018, bei 94,3% Verbrennungsmotor (Benzin/Diesel), 3,1% Verbrennungsmotor (Gas), 0,82% Hybrid-Systemen (PHEV) und 1,71% Elektromotor (Batterie). Fahrzeuge die mit einer Brennstoffzelle und Wasserstoff betrieben werden haben 2018 noch keine Relevanz.

Wie sich die Automobilindustrie in den kommenden Jahren entwickeln wird, ist von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig. In dieser Studie wurden 4 große Treiber identifiziert und analysiert.

  • Dekarbonisierung, getrieben durch Fahrzeugelektrifizierung und Emissionsregulierungen,
  • Autonomes Fahren und alternative Mobilitätskonzepte und
  • Die globale Fahrzeug-Nachfrageentwicklung
  • China als neue dominanter Einflussfaktor der globalen Fahrzeugindustrie

Fest steht, dass der Automobilmarkt in Österreich, mit einem Weltmarkt-Anteil von nur 0,43%, nicht groß genug ist, um künftige Automobiltrends selbst bestimmen zu können.

Aufbauend auf den Antriebstechnologien wurden vier Szenarien – von einer langsamen bis hin zu einer sehr raschen Elektrifizierung – entwickelt und durchgerechnet. Im Szenario mit dem schnellsten Wandel werden 2030 weltweit nur mehr 15 Prozent der Autos mit Benzin, Diesel oder Gas neu zugelassen. Die restlichen Marktanteile verteilen sich auf elektrifizierte Antriebsarten. Für am wahrscheinlichsten erachten die Studienautoren das Szenario „moderate Elektrifizierung“: Demnach werden im Jahr 2030 immer noch 72 Prozent der neu zugelassenen Autos mit Verbrennungsmotoren angetrieben; aufgeteilt in Diesel/Benzin mit 37 Prozent, Hybride mit 28 Prozent und Gas mit 7 Prozent Marktanteil. Batteriebetriebene Fahrzeuge erreichen einen Anteil von 26 Prozent und Brennstoffzellenfahrzeuge von 2 Prozent. Zum Vergleich: Heute sind gerade einmal 2,5 Prozent keine traditionellen Verbrenner, siehe Abbildung 2.

Abbildung 2: Darstellung des Basis-Szenarios 2018 und der Szenarien für die Verteilung der Antriebstechnologien 2030

Die Berechnung der volkswirtschaftlichen Effekte für die Automobilwirtschaft im Jahr 2030, getrennt nach den vier Szenarien, wurde auf Grundlage eines modifizierten Satellitenkontos der Automobilwirtschaft durchgeführt. Aufgrund der bisherigen Dominanz der Verbrennungsmotoren musste das Satellitenkonto um die neuen Antriebstechnologien erweitert werden. Auch die vor- und nachgelagerten Sektoren sowie die Außenhandelsverflechtungen sind in diesem Rahmen entsprechend anzupassen. Dadurch konnten nicht nur die zu erwartenden Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte der Automobilindustrie berechnet werden, sondern auch die Effekte auf die gesamte österreichische Automobilwirtschaft, die eine Vielzahl weiterer Sektoren (Werkstätten, Handel, Versicherungen etc.) umfasst.

Passt sich die Automobilwirtschaft in Österreich künftig nicht oder zu spät an, drohen Wertschöpfungsverluste. Und diese fallen umso stärker aus, je schneller sich der Wandel hin zu Elektroautos vollzieht. Schon im realistischsten (moderaten) Szenario wäre in der österreichischen Automobilwirtschaft 2030 mit einem Rückgang von 1,7 Prozent, im ambitioniertesten Szenario sogar mit 5,8 Prozent (entspricht rund zwei Milliarden Euro) zu rechnen. Betroffen sind nämlich nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch andere Sektoren wie etwa Tankstellen, Werkstätten, der Handel oder die gesamte Vorleistungsindustrie. Wird nicht gehandelt, dann kostet dies auch Arbeitsplätze: rund 6.000 Arbeitsplätze bis 2030 im moderaten Szenario, bis zu 24.000, wenn sich der Wandel rasch vollzieht. Denn mit jedem Arbeitsplatz in der Automobilindustrie wird derzeit ein weiterer Arbeitsplatz österreichweit abgesichert.

Die vorliegende Studie Auf der Siegerstraße bleiben – Automotive Cluster der Zukunft bauen zeigt, dass die batteriebetriebene Elektromobilität auch in der österreichischen Automobilindustrie Einzug hält und stark zum tiefgehenden Wandel beiträgt. Dabei ist der Grad der Elektrifizierung relevant. Auf eine zu rasche Elektrifizierung (Szenario 4) ist die österreichische Automobilindustrie aus heutiger Sicht noch nicht vorbereitet und dies kann zu starken Einbußen bei Beschäftigung und Wertschöpfung führen. Zudem könnte dies möglicherweise auch den Bestand kleiner und mittelständischer Unternehmen bedrohen.

In Abbildung 3 wurden die Bauteile der Antriebsstränge von Verbrennungsmotoren und Elektromotoren verglichen. Die Anzahl der benötigten Bauteile reduziert sich bei elektrischen Antrieben signifikant. Ein konventioneller Verbrennungsmotor kann sich aus ca. 1200 bis 2000 Einzelteilen zusammensetzen, ein Elektromotor hingegen nur mehr aus 100 bis 200 Teilen. Die Batterie, die etwa 50% der Produktionskosten eines reinen Elektrofahrzeugs verursacht, wird zudem nicht in Europa hergestellt und verursacht einen Abfluss der bisherigen westlichen Wertschöpfung nach Asien.

 

Abbildung 3: Gegenüberstellung der Antriebsstränge von Verbrenner- und Elektrofahrzeugen

Um das Tempo und die Intensität dieses Wandels mitbestimmen zu können, ist es erforderlich, die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Aufgabe ist nicht nur, die negativen Auswirkungen für Österreichs Automobilwirtschaft zu begrenzen, sondern es geht vielmehr darum, an diesem neuen Wachstumsmarkt zu partizipieren.

Denn der Wandel bringt auch viele neue Chancen, insbesondere auch für Newcomer: „Die Eintrittsbarrieren sind beim E-Antrieb viel niedriger, es wird nicht nur Tesla und weitere neue Automobilhersteller geben, sondern ganz neue Mobilitätsanbieter, Geschäftsmodelle und Zulieferbetriebe“, so Kleebinder

Resümee: Österreich ist auf die Chancen und Risiken eines raschen technologischen Wandels (noch) nicht ausgerichtet. Es braucht einen sektorübergreifenden „Masterplan Mobilitätswende“. Dieser kann nur Hand in Hand mit der Energiewende und von wissenschaftlich fundierter und unabhängiger Expertise begleitet gelingen. Weitere Handlungsempfehlungen der Autoren beziehen sich auf die Standortsicherung durch Schwerpunktsetzungen, das Erreichen kritischer Größen und Clusterbildung. Zudem empfehlen sie die Schaffung von Anreizsystemen für Investitionen und Innovationen mit der Prämisse Technologieoffenheit. Neue Kompetenzen müssen aufgebaut, bestehende Fachkräfte umgeschult und Bevölkerung als auch Industrie aufgeklärt werden. Österreich hat die Chance, von der bevorstehenden Mobilitätsrevolution zu profitieren und als Wirtschaftsstandort gestärkt hervorzugehen.

 

Link zur Studie: Auf der Siegerstraße bleiben – Automotive Cluster der Zukunft bauen

Autoren: Dr. oec. Hans-Peter Kleebinder, Dr. Anna Kleissner, Dipl.-Ing. Michael Semmer


Weitere Einsatzmöglichkeiten unseres Modells/Studiendesign:

  • Berechnung der direkten, indirekten und induzierten wirtschaftlichen Beiträge der Automobilwirtschaft oder Teilbereichen daraus bis 2030
    • Für unterschiedlichste Szenarien (Kombination von Antriebstechnologien)
    • Für unterschiedliche Nachfrageniveaus
  • Einfache Berechnung von Nachfrageänderungen, sowohl im privaten Konsum als auch im Export (Brexit, Strafzölle, etc.)
  • Unterstützung von Investitionsentscheidungen/Fördermöglichkeiten hinsichtlich Effizienz und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit (z.B. Effekte einer Förderung der Produzenten vs. Effekte einer Förderung der Nachfrage)
  • Identifikation von Branchen mit überdurchschnittlichem Wachstumspotenzial
  • Identifikation von Wertschöpfungslücken (die zu Wertschöpfungsabflüssen führen) / Wo bestehen Ansätze für Betriebsansiedlungen
  • Vergleiche mit anderen Sektoren, Branchen und der Gesamtwirtschaft

Mögliche Erweiterungen:

  • Umlegen dieses Modells auf andere Länder oder auf die gesamte EU (anhand eines multinationalen Modells der EU-28), wobei die Effekte für jedes Land separat dargestellt werden können
  • Regionalisierung für Österreich und Deutschland (Bundeslandebene)
  • Regionalisierung (Autocluster-Ebene)

Literatur